Du schönes Europa, was ist aus dir geworden?

Mit jeder Schlagzeile, die fast täglich über dich erscheint, ergraust du mehr und mehr. Du verlierst an Glanz, der dich einst ausmachte. Was haben wir europaweit gefeiert, als sich die Grenzen, neben Waren und Finanzen, auch für deine Bürger öffneten. Hässliche Stacheldrähte, Minen und scharfe Kontrollen verschwanden. Langsam wuchsen Gräben zu. Ein grünes, lebendiges Band begann West und Ost, Nord und Süd zu verbinden. Deine Vision zog Staaten und Völker an. Beethovens „Ode an die Freude“ erschallte vielerorts in Europa. Mit großem Akt wurde deine Währung in vielen Staaten eingeführt. Was die Vordenker Europas, von Charles de Gaulle, über Konrad Adenauer bis Alois Mock, auf den Weg brachten, fand 1992 in den Verträgen von Maastricht Ausdruck. Dein blaues besterntes Banner wehrte fortan neben den Fahnen der Mitgliedsstaaten.

Was ist aus dir geworden? Falten tauchten relativ rasch auf. Es gab Kritik an der Währung und Unstimmigkeiten unter den Mitgliedern. Die Falten führten zu Rissen: Bedenken Großbritanniens, Griechenlandkrise, Sorgen um Italien oder Portugal und nun die Krise in der Flüchtlingsfrage. Der Glanz verblasst. Alte Bilder kehren wieder, durch Zäune, Kontrollen, Vorwürfe und ja – Misstrauen. Das „blaue Band mit den goldenen Sternen“ droht zu zerreißen. Statt Eintracht kommt Zwietracht auf. „Concordia domi foris pax“ (Eintracht innen, draußen Friede) steht auf dem Lübecker Holstentor, einem der Wahrzeichen der Hanse. Das war der Schlüssel, der den Handelsbund groß und mächtig machte. Was hilft es, wenn Waren und Finanzen ohne Grenzen gehandelt werden können, aber die Menschen, mit denen eine Gemeinschaft lebt, in Schranken verwiesen werden? Die Faszination, die Lebenskraft Europas, lebt von der Grenzenlosigkeit und von dem Raum für Visionen. Es liegt an uns, ob wir Europa wieder erstrahlen lassen oder den Alterungsprozess beschleunigen wollen.

 

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