Hat Rechtschreibung an Bedeutung verloren?

Das geschriebene Wort oder Text im Allgemeinen hat ausgedient. Dieser Eindruck entsteht durchaus, betrachtet man die Entwicklung im Internet. Videoclips ersetzen lange und umständliche Texte, zu anschaulichen Bildern gibt es ein paar erklärende Worte. Das genügt. Das Lesen von Texten kostet Zeit und ist umständlich. Hinzu kommt die Deutungsvielfalt: „Wie ist der Inhalt gemeint?“ Ein Bild sagt eben mehr als 1.000 Worte. Wenn schon ein Text eingesetzt wird, muss dieser kurz und knapp sein.

Das Leseverhalten des Internets überträgt sich auch auf andere Bereiche. Schon lange liegen Gebrauchsanweisungen von z. B. technischen Geräten entweder CDs bei oder eine kurze Verbraucherinformation mit einem Link zum Internet. Kurznachrichten, gleich, ob sie via SMS, Telegram oder WhatsApp geschrieben werden, beinhalten per se wenig Worte, vieles wird abgekürzt oder mit Emoji (Smilies) ergänzt. Dank Smartphone und Sprachfunktion entfällt das lästige Tippen ganz. Wer braucht also noch Text und damit verbunden Grammatik oder Rechtschreibung?

Ohne Wörter geht es nun doch nicht. Auf den Homepages befinden sich noch immer Texte, auf Flyern, Foldern, Verbraucherinformationen, in Zeitungen und Zeitschriften ebenso. Bei Johannes, Kapitel 1, steht am Anfang war das Wort … Auch wenn das in einem anderen Kontext gemeint ist, so steht doch ein Text oft am Beginn von Entscheidungen, dient als Hilfe oder Orientierung. An Wichtigkeit hat demnach der Text nicht verloren, nur der Umgang und Zweck haben sich verändert. Was sich ebenfalls gewandelt hat, ist die Rechtschreibung.

Seit der Rechtschreibreform ist für die einen offensichtlich vieles einfacher geworden und für andere komplizierter. Generell gewinnt man jedoch den Eindruck, dass nur noch wenige wissen, wie Worte richtig geschrieben werden. Das Gefühl entsteht beim Blick in Zeitungen, auf Firmen- sowie private Webseiten, Visitenkarten und vieles mehr bis hin zu Büchern. Doch es gibt mehr Menschen, die Fehler sehen, als dies Autoren der Texte wohl meinen. Oft ist in Cafés, Bussen oder Wartezimmern die Diskussion zu verfolgen, ob die Redaktionen von Zeitungen bzw. Zeitschriften gar nicht mehr auf korrekte Schreibweise achten?

Da werden für den Entwurf eines Logos, Claims und des Weiteren einer Visitenkarte zwischen 700 und 1.500 Euro bezahlt ohne genaue Prüfung auf Richtigkeit. Der Druck darf anschließend über den Onlineshop aber nur 15 Euro kosten. Stellt man später heraus, dass ein Fehler enthalten ist, werden die Visitenkarten trotzdem weiter verteilt. Schließlich kann man nicht 480 Karten einfach wegwerfen bzw. austauschen. Die Herstellung war teuer. Ein Einzelfall? Leider ist das nicht so.

Einerseits fliegt der einen Agentur buchstäblich der Entwurf eines Imagetextes um die Ohren – zu Recht -, weil in 7.000 Zeichen zwei Worte falsch geschrieben wurden. Andererseits hat eine andere Agentur die Homepage dieser Firma gestaltet und in den Texten ist in nahezu jeder dritten Zeile ein Fehler enthalten. Wie geht das zusammen? Mitarbeiter von Unternehmen müssen häufig Präsentationen entweder für sich selbst oder für andere vorbereiten. Beim Vortragen vor vollem Saal fällt in etlichen Fällen auf, dass irgendjemand den Text auf Rechtschreibung hätte überprüfen sollen.

All diese Beispiele führen zu Peinlichkeiten, Erklärungsnot und zur Frage: „Wenn schon bei der Rechtschreibung nicht genau hingesehen wird, wie ist es dann mit anderen Leistungen?“ Sind fehlerfreie Texte überhaupt doch von Bedeutung? Fehler machen wir alle. Das steht außer Frage. Die Gründe, die dazu führen, sind unterschiedlich. Mal ist es Eile, Nachlässigkeit, Unwissenheit, Überforderung oder gar eine Frage des Budgets. Früher gab es in fast jedem Zeitungsverlag Lektoren, die Texte korrigierten. Im Zuge von Kostendruck und Preiskampf wurden Stellen abgebaut. Oft müssen die Journalisten ihre Texte selbst korrigieren. Die Folge dessen sind Diskussionen, wie sie beispielsweise in Wartebereichen stattfinden.

Genauso spielt bei Agenturen oder freien Grafikern das Budget eine Rolle. Wer zahlt eine Korrektur? Ist der Kunde bereit? Es gilt die Annahme, schreiben kann jeder, es reicht ein Blick eines Dritten und der Kunde nimmt es auch nicht so genau. Irrtum! In manchen Fällen formuliert der Kunde Bedingungen: „Bei jedem Fehler, den ein Kunde von uns ausmacht, stellen wir Ihrer Agentur 50.- Euro in Rechnung.“ Es geht um korrekte Leistung, um Ansehen und teure Markenpflege. Dies fängt beim Wort an und führt über das Imagevideo hinaus. Vielen ist das scheinbar gleichgültig oder gar nicht bewusst.

Wir stehen vor der gleichen Herausforderung. Zum Beispiel werden wir an der Aussage dieses Textes gemessen. Fehler würden uns unglaubwürdig erscheinen lassen. Wir wissen, dass wir die Rechtschreibung nicht 100 % beherrschen. Das erwartet von uns keiner, wie in anderen Berufen auch. Von uns wird jedoch erwartet, dass wir eine korrekte Arbeit abliefern. Deswegen „leisten“ wir uns ein Lektorat. Es ist ein Kundenservice, der das Bild vom Image, von Positionierung, Differenzierung und Marke abrundet – das Tupferl auf dem berühmten i.

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