Zwischenruf: „Stell´dir vor, es sind Wahlen und keiner geht hin“?

Mit der Kammerwahl der WKO steht ein großes Wahlereignis in Tirol an. 2016 folgen die Gemeinderatswahlen. Es wird wieder Sieger und Verlierer geben. Jede politische Kraft wird das Wahlergebnis aus ihrer Sicht möglichst positiv kommentieren. Am Wahltag zeigt sich ebenso das Ausmaß an politischer Enttäuschung bei den Bürgerinnen und Bürgern durch die Quote der Wahlbeteiligung. Wie sehr sich die Wahlmüdigkeit auf das Gesamtergebnis auswirken kann, verdeutlichte die Abstimmung zur Bürgerschaft in Hamburg bei unserem nördlichen Nachbarn im Feber. Es war eine Wahl, bei der es – angeblich – fast nur Sieger gab. Als einziger Verlierer stand die konservative Partei (CDU) fest. Aber: Es gab noch einen wesentlich größeren Verlierer, schaut man sich das Wahlergebnis genauer an: die Demokratie.

Von 100% Wahlberechtigten nützen lediglich knapp über 55% ihr freiheitliches, demokratisches Recht! Setzt man die Zahlen in Relation zur Grundsumme aller Stimmen der Wahlberechtigten, so machen die 41% des Wahlsiegers SPD nur noch gute 23% aus. Die größte „politische“ Kraft ist die Fraktion der Nichtwähler. Zynisch betrachtet könnte man sagen, die Mehrheit der Bürger wird von einer Minderheit regiert.

Anstatt sich über den „Wahlsieg“ zu freuen, sollten sich die Parteien ernsthaft fragen, was sie ändern wollen – nein, müssen. Geringe Wahlbeteiligungen sind eigentlich als schallende Ohrfeige zu werten. Nur am Rande wird zögerlich analysiert, dass es nicht gelungen ist, Werte zu transportieren, um Menschen für die Demokratie zu begeistern.

Dabei ist das kein Phänomen der Hansestadt Hamburg. Auch bei uns in Österreich sieht es bedenklich aus. Die Wahlbeteiligung bei den Landtagswahlen in Vorarlberg lag bei 64%. Die Beteiligung zur letzten Kammerwahl der WKO betrug rund 37%.

Das, wofür Menschen in Europa durch die letzten 300 Jahre hinweg gekämpft haben, ist inflationär geworden. Kriege wurden geführt, es wurde unterdrückt, eingesperrt und hingerichtet. Erst um 1850 setzte sich in Europa allmählich das allgemeine Wahlrecht durch, immer noch begleitet von vielen Hindernissen. Es ist gerade mal 70 Jahre her, dass Europa erneut die Chance zur Demokratie bekam. Auch heute kämpfen Menschen 1.600 km entfernt im Osten für freiheitliche Werte. Und was machen wir? Haben wir unsere Werte, wie die Demokratie einer ist, zu YouTube oder „Herz von Österreich“ verlagert, wie einige scherzen?

Wenn wir verhindern wollen, dass wir von „Minderheiten“ regiert werden, wenn einzelne Gruppen versuchen, uns in Europa zu schaden oder radikale Kräfte an Boden gewinnen, dann ist es nicht nur unser Recht, sondern unsere Pflicht, zu wählen. Die Politik sollte dabei sehr wohl die Partei der „Wahlverweigerer“ ernst nehmen und sich mit ihr auseinandersetzen, so wie es eine regierende Partei mit der Opposition macht.

John F. Kennedy sagte: „Demokratie muss täglich neu erkämpft werden.“ – Eben, damit es nicht heißt: „Stell´dir vor es sind Wahlen und keiner geht hin!“

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