Frauen: eine wichtige, aber missverstandene Zielgruppe

„Männer sind furchtbar schlau“ lautet eine Textzeile in dem Lied „Männer“ von Herbert Grönemeyer. Der selbstironische Song bezogen auf das starke Geschlecht stammt aus dem Jahre 2004. Zwar hat sich die Welt in vielen Aspekten verändert, aber in dem Punkt scheint sich nichts bewegt zu haben. Viele männliche Marketing-Verantwortliche, ob in Firmen oder Agenturen, wissen exakt, worauf Frauen beim Kauf primär achten. Leider geht das an der wohl wichtigsten Zielgruppe absolut vorbei, wie zwei Studien jetzt unterstreichen.

In den USA wurde unter Entscheidern für Marketing und Kommunikation eine Umfrage zu diesem Thema durchgeführt. Es wurden gleich viele Männer wie Frauen interviewt. Gefragt wurde unter anderem: Was meinen Sie, ist bei Frauen der wichtigste Grund für eine Kaufentscheidung? Das Ergebnis war überraschend, wie eindeutig. Knapp 70 Prozent der rein männlichen Gruppe antworteten, dass für Frau das Design entscheidend ist. Diese Aussage teilten etwas mehr als 30 Prozent der Frauen. Die Mehrheit legt eindeutig Wert auf Qualität. Überzeugt ein Produkt oder eine Dienstleistung in diesem Punkt nicht, kann selbst das beste Design kein Kaufentscheid herbeiführen.

In Deutschland führte das international agierende Marktforschungsinstitut diese Befragung unter gleichen Voraussetzungen und Bedingungen durch. Auch hier erstaunte das Ergebnis, da es sich kaum von der Befragung in den USA unterschied. Rund 75 Prozent der Männer sahen das Design als Hauptgrund für einen Kauf. Die Qualität ist ausschlaggebend, antworten ca. 80 Prozent der weiblichen Befragten. Diese Ergebnisse fordern zum breiten Umdenken im Marketing auf.

Dabei ist seit Jahren bekannt, dass Frau bewusst und überlegt kauft. Das trifft nicht nur auf Frauen zu, die ihr eigenes Geld verdienen, ungebunden sind oder sich in einer Lebensgemeinschaft befinden sowie Führungspositionen bekleiden. Sogar Frauen im klassischen Familienverständnis beeinflussen maßgeblich die Kaufentscheidung, selbst wenn der Mann den Kaufvertrag unterzeichnet oder den Kaufabschluss in bar vollzieht. Das Selbstverständnis ebenso das Bewusstsein der Frauen hat sich in den vergangenen vierzig Jahren grundlegend verändert.

Etliche große Konzerne haben das verstanden, denn schließlich sitzen in ihren Entscheidungsetagen gleichwohl immer mehr weibliche Manager. Volvo bietet ein anschauliches Beispiel für ein verändertes Denken und Handeln. 2004 stellte der schwedische Autobauer auf dem Genfer Autosalon den Prototypen YCC vor. Es war ein Autokonzept, das ausschließlich von Frauen für Frauen entwickelt wurde. Die Leiterin des Projekts sagte damals: „Der YCC ist ein Auto für die moderne, selbstständige und unabhängige Frau – und damit auch ein Auto für alle Männer.” Einer der Vorzüge des Autos waren die „Kinositze“ im Fond. Die Sitzflächen brauchten nur bei Bedarf nach unten geklappt werden. So entstand viel mehr Platz für Einkaufstüten, die öfter transportiert werden als Fahrgäste im Fond. Ein Produkt ist also nach den Bedürfnissen einer Zielgruppe von der selbigen optimiert worden. Etliche Details dieser Studie finden sich heute genauso in Fahrzeugen anderer Hersteller wieder.

Warum fällt es klein- und mittelständischen Betrieben immer noch schwer, die Zielgruppe Frauen in ihre Produktplanung einzubeziehen oder die Dienstleistung danach auszurichten? Ein simples, banales Beispiel veranschaulicht, dass der Sanitärbereich in Hotels oder in der Gastronomie vorwiegend von Männern geplant wird. Deutlich wird das, wenn sich – gerade bei Veranstaltungen oder bei einem gut besuchten Lokal – im WC-Bereich öfter Schlangen von Frauen bilden. Sie haben nun mal andere Bedürfnisse, die mehr Platz erfordern. Würde dem Rechnung getragen werden, wäre es eine Aufwertung in puncto Qualität in Bezug auf Gastlichkeit.

Bevor Frauen etwas kaufen, prüfen sie die Ware gern. Schlichte Fakten auf einem Papier oder im Internet sind eine Sache, aber ein Produkt im wahrsten Sinne des Wortes zu begreifen, ist eine andere. Wollen Frauen ein Kleidungsstück erwerben, wird es angefasst, verglichen und anprobiert. Zum Ärger vieler Frauen ist das Anprobieren häufig eine Tortur. Die Ankleidekabinen sind zu klein, der Sichtschutz häufiger unzureichend, die Luft zu stickig und heiß – das Ambiente stimmt einfach nicht. Das versprochene Kauferlebnis bleibt aus. Männer sind in dem Fall linearer in ihrem Handeln: Die Hose soll es sein, sie wird gegriffen, schnell anprobiert – passt und ab zur Kassa. Das ist ein völlig unterschiedliches Kaufverhalten, das kaum gleichzusetzen ist. Was für den erwähnten Volvo gilt, würde auch in diesem Beispiel mehr Komfort bieten: Platz.

Die Beispiele ließen sich wie an einer Kette aufzählen. Ob es sich um Bekleidung handelt, Möbelstücke, das Anpreisen von elektronischen Artikeln, Sportgeräten oder gar Informationen auf Lebensmitteln, in der Regel wird an Frau vorbei geredet. Selbst bei Reisen und touristischen Angeboten steht oft nur einer im Vordergrund: der Mann.

Dabei bekräftigte neulich einer der führendsten Trendforscher im deutschsprachigen Raum, Matthias Horx, die schon bekannte These: „Die Zukunft ist weiblich“. Der Anteil von Mädchen und Frauen mit höherer Bildung ist in den letzten Jahren ständig angestiegen. An den Unis sind seit dem Jahr 2000 schon mehr Studentinnen eingeschrieben als Studenten. Im Zuge des demografischen Wandels werden allein aus dem Aspekt heraus, vermehrt Frauen offene Stellen belegen und bei entsprechendem Bildungsabschluss in Führungsetagen aufrücken.

Wer diese große Zielgruppe überzeugend als Kunden gewinnen will, der ist gut beraten, sich darauf einzustellen – besonders in der Kommunikation. Frauen(miss)versteher hingegen verpassen Chancen bei der wohl wichtigsten Zielgruppe.

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